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Giebel über der Toreinfahrt zur Abtei Brauweiler

Gedenkstätte
Brauweiler des LVR

Gedenkbuch Brauweiler

Biografien

Ritzer, Wolfgang

  • geb. 25.6.1925 in Köln-Deutz
  • gest. 19.10.2010 in Köln
  • Haft in Brauweiler: 5.12.1942 - 23.12.1942

Wolfgang Ritzer war bereits als Siebenjähriger in der katholischen Jungschar der Pfarre St. Heribert in Köln-Deutz aktiv, wechselte aber als Zehnjähriger zum Jungvolk der Hitlerjugend. Bereits zwei Jahre später, obwohl erst 12 Jahre alt, folgte er seinen Freunden zur Nachrichten-HJ, die sich in einem der Türme der Hohenzollernbrücke traf. „Wolfgang nahm nun zwar – wenn wohl auch eher unwillig – am HJ-Dienst teil, bekam wegen unregelmäßigen Erscheinens und häufiger Verspätung aber immer wieder Ärger mit seinen ‚Vorgesetzten‘.“ (Rüther 2015, S.18). Ostern 1938 beobachtete er in der Jugendherberge Köttingen (Lindlar) eine Kontrolle durch Gestapo und HJ-Streifendienst und dann im November 1938 in Köln die Gewaltexzesse der Reichspogromnacht. Rückblickend waren diese Ereignisse prägend für seine künftige Widerstandshaltung. Den „HJ-Dienst“ stellte er seit Kriegsbeginn ein. Am 1. April 1940 begann er eine Lehre als kaufmännischer Angestellter bei einem Freund seines Vaters, die er im März 1943 abschloss. Während dieser Zeit ging er außerdem als Einzelgänger auf „Fahrt“ und suchte Kontakt zu Älteren mit Wurzeln in der Bündischen Jugend, ohne allerdings selbst dazuzugehören. Wegen Nichttragens der vorgeschriebenen HJ-Uniform wurde er 1939 während einer seiner „Fahrten“ bei einer Razzia in das EL-DE-Haus in Köln gebracht und im Herbst des Jahres zum ersten Gestapoverhör vorgeladen, dem weitere folgten. Inzwischen hatte er Kontakte zu unangepassten Jugendgruppen (Edelweißpiraten) geknüpft und schloss sich 1940 der „Volksgarten-Gruppe“ an, die sich in wechselnden Gruppierungen zunächst im Park, dann in Gaststätten traf.

Am 4. Dezember 1942 wurde Wolfgang Ritzer zusammen mit insgesamt 23 Jugendlichen, fast alle aus der Volksgarten-Gruppe, in der Gaststätte Jakob Schmitz verhaftet, ins EL-DE-Haus und am nächsten Morgen nach Brauweiler gebracht. Dort wurde er in einer Einzelzelle im Zellenbau inhaftiert. Die Gestapo beschlagnahmte in seinem Elternhaus 400 bis 500 Fotos, die er als begeisterter Fotograf auf seinen Wanderfahrten gemacht hatte. Da im Verhör nichts ernsthaft Belastendes ermittelt werden konnte, wurde er nach drei Wochen, am 23. Dezember 1942, wieder entlassen. Zwei von ihm verfasste Spottgedichte auf die Nazis (u.a. ein satirisches „Tischgebet“), die er vervielfältigt und mit einer Arbeitskollegin heimlich in Briefkästen gesteckt hatte, konnte er bei seiner Festnahme am 4. Dezember noch unter der Tischdecke verstecken. Später wurden sie jedoch entdeckt und Wolfgang Ritzer deshalb zuerst Ende Dezember 1942 und erneut im Juli 1943 verhört. Wegen seiner Einberufung zum Reichsarbeitsdienst und anschließend zur Wehrmacht entging er jedoch einer Verurteilung. Das Sondergerichtsverfahren gegen ihn wegen „bündischer Betätigung“ und „Heimtücke“ wurde im Mai 1944 eingestellt.

Ende Juli 1944 geriet Ritzer an der französischen Kanalküste in englische Kriegsgefangenschaft, aus der er am 2. August 1946 zurückkehrte. Er führte schließlich das Geschäft seines 1953 verstorbenen Vaters als Großhändler für Bedarfsartikel der Schuhindustrie weiter. Seit 1984 mischte Ritzer sich in die Diskussion über die Beurteilung der Ehrenfelder Ereignisse im Herbst 1944 und deren Zusammenhang mit der Bewegung der Edelweißpiraten („Kölner Kontroverse“) ein und vertrat dezidiert kritische Positionen gegenüber anderen Zeitzeugen.

Literatur:

  • Rüther, Martin: „Senkrecht stehen bleiben“. Wolfgang Ritzer und die Edelweißpiraten. Unangepasstes Jugendverhalten und dessen späte Verarbeitung, Köln 2015, unter Bezugnahme auf den Nachlass Ritzer im NS-Dokumentationszentrum Köln, vgl. S. 276, Anm. 2.

Text und Recherche:

Josef Wißkirchen

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